Liebe Mitglieder und Freunde des Biodynamischen,
Unsere Geschichte als Gemeinschaft begann an Pfingsten 1924. Im Jubiläumsjahr blicken wir auf die vergangenen hundert Jahre zurück, in denen unsere Mitglieder immer wieder starke und innovative Impulse für eine nachhaltige Land- und Ernährungswirtschaft gesetzt haben. Ein schöner Anlass, die Arbeit und die visionäre Kraft all jener Pionier:innen zu feiern, die bis heute beste Lebensmittel mit besonderem Charakter produzieren – und zwar mit Hingabe, Mut und Liebe!
Demeter ist bis heute niemals nur eine Marken-, sondern vor allem auch eine Entwicklungsgemeinschaft des biodynamischen Impulses gewesen, die auch in der Gegenwart ihre Kraft auf die Herausforderungen der Zukunft ausrichtet. Die Relevanz einer regionalen, bäuerlichen Landwirtschaft, Klimaschutz und -anpassung, eine unabhängige Züchtung, der Schutz des Bodens als einer unserer wichtigsten Ressourcen und der Verzicht auf gentechnisch veränderte Organismen (GVO) sind aktueller denn je. So nehmen wir unser Jubiläumsjahr als Ansporn, unseren Impuls stetig weiterzuentwickeln, damit er Taktgeber für eine Land- und Ernährungswirtschaft der Zukunft bleibt!
Mit herzlichen Grüßen
der Demeter-Gesamtvorstand
Neben Einblicken in die Geschichte der biodynamischen Bewegung, den ersten Demeter-Höfen und der Markenentwicklung kommen im Jubiläumsbericht vor allen „alte“ und „junge“ Pionier:innen zu Wort: Wie sind sie zu Demeter gekommen? Welche Widerstände haben sie erlebt? Wie blicken sie in die Zukunft?
Weitere Beiträge widmen sich den Fragen, wie biodynamische Akteure den Boden, die Artenvielfalt und das Klima schützen und welche Impulse die Demeter-Gemeinschaft heute setzt – Wie kann sie weiterhin Taktgeber für eine Land- und Ernährungswirtschaft der Zukunft bleiben? Getreu den Worten des Demeter-Pioniers und Gärtnermeisters Peter Berg: „Biodynamische Landwirte sind nicht die Letzten von gestern, sondern die Ersten von morgen.“
Mutig, überzeugt, mit Herzblut dabei – egal ob Altenteiler oder Jungpionier: Die biodynamische Bewegung lebt durch die Menschen, die sich tagtäglich der landwirtschaftlichen Arbeit widmen und geschmackvolle Lebensmittel produzieren, ob auf dem Acker oder im Stall. Und von den Verarbeiter:innen und Händler:innen, die dazu beitragen, dass die Produkte zu den Verbraucher:innen gelangen. Was hat sie zu Demeter gebracht? Wie blicken sie in die Zukunft? Lassen wir einige von ihnen zu Wort kommen.
Hier finden Sie die ausführlichen Interviews und Berichte über unsere Pionier:innen - die Liste wird im Laufe des Jubiläumsjahres immer wieder ergänzt.
Leiter der Landbauschule Dottenfelderhof, Bad Vilbel
Die Winzerin berichtet über Motivation für ihre Arbeit.
Gyso von Bonin über seine Motivation für Demeter
Ein Jubiläums-Interview
Thomas Harteneck, Winzer aus Südbaden über Biodynamik und die Zukunft des Weinanbaus
Im Gespräch Sophie und Jonathan Kraul, Betriebsleiter auf dem Unteren Berghof bei Wildberg
Im Gespräch Rüdiger Spiegel, Betriebsleiter auf dem Talhof
Im Gespräch Volkmar Spielberger von der Spielberger Mühle
Rudolf Steiner äußerte sich bereits vor über 100 Jahren zu Themen, auf deren Zusammenhänge und Wahrheitsgehalt wir heute erst stoßen – mit moderner Technik, neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Gemeinsam mit Demeter-Forschungskoordinator Dr. Christopher Brock und dem Leiter der Abteilung Biodynamische Wissenskultur (AEK), Michael Olbrich-Majer, blicken wir auf Thesen Steiners, die heute aktueller sind, denn je.
DR. CHRISTOPHER BROCK: Das Organismus-Prinzip – der Mensch wird zur Grundlage gemacht und der Betrieb soll als „eine Art Individualität“ verstanden werden. Das ist genial, denn es bedingt eine ganz besondere Perspektive auf den Betrieb, wenn ich es ernst nehme. Dann stellen sich Fragen wie: was sind die Organe des Betriebes? Welche Funktion haben sie? Was gehört alles dazu und macht den Betrieb lebens- und leistungsfähig? Steiner gibt im landwirtschaftlichen Kurs verschiedene Hinweise dazu, aber am wichtigsten finde ich das Konzept selbst, weil es eine Grundlage ist, Betriebe zu betrachten und zu verstehen. Wenn der Betrieb ein Organismus ist, dann ist das mehr als nur die Summe einzelner Kompartimente (Stall, Acker, …), dann geht es um Interaktion, um das Zusammenwirken, was den Betrieb funktionieren, oder besser: was ihn leben lässt. Denn da kommt diese neue Qualität dazu. Und wenn wir den Betrieb dann noch als Individualität sehen, dann haben wir ein Gegenüber, dem ich begegnen kann – das hat eine soziale, eine kulturelle und, wenn man sich darauf einlässt, eine spirituelle Komponente. Einen solchen Betrieb sehe ich nicht als Baukasten, sondern als Lebewesen.
Die Betrachtung des Betriebes als Organismus spiegelt sich heute in vielen Entwicklungsstrategien und Forschungskonzepten, wenngleich in der Regel nicht von „Organismus“, sondern von „System“ die Rede ist und (fast) nie Bezug auf Steiner genommen wird. Die „Individualität“ von Betrieben wird eher in der sozio-ökonomischen Forschung entdeckt und adressiert – nicht auf der wesenhaften Ebene, aber auf der Ebene der Strukturen und Akteure. Die von Steiner angesprochenen Aspekte werden auch außerhalb der biodynamischen Gemeinschaft erkannt und bearbeitet. Aber die biodynamische Wirtschaftsweise setzt das (bisher) am konsequentesten um, was auch in der Fachwelt durchaus wahrgenommen wird. Für mich zeigt sich hier die große Aktualität des landwirtschaftlichen Kurses und das Potential in der dringend notwendigen nachhaltigen Transformation der Ernährungssysteme.
Steiner war derjenige, der einen Impuls in die Landwirtschaft gegeben hat, der die Jahrzehnte überdauerte und dann ganz wesentlich den Ökolandbau in seiner Entwicklung beeinflusst hat. Heute ist weit über den Ökolandbau hinaus anerkannt, dass das Denken in Systemen eine wichtige Grundlage der nachhaltigen Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme ist und Vielfalt die Resilienz ökologischer Systeme fördert. Zur gezielten produktionsökologischen Nutzung von Landschaftselementen im Betrieb ist allerdings noch einiges an Forschung notwendig. Bisher nutzen wir im Ökolandbau Vielfalt ja vor allem im Ackerbau mit der Fruchtfolge.
MICHAEL OLBRICH-MAJER: Na, ich denke zuerst an den Boden: die Erde verlebendigen, das geht mit dem biodynamischen Gesamtpaket nachgewiesenermaßen am besten. Spannend ¨nde ich, dass die von Steinern postulierte Einheit von Boden und Pflanze heute in der Forschung wieder auftaucht: Er spricht davon, „dass es keine scharfe Grenze zwischen dem Leben innerhalb der Pflanze und dem Leben im Umkreis …“ gebe. Das erkennen wir heute als Boden-Pflanze- Interaktion: Dieses Zusammenwirken im Boden von Wurzel, Mykorrhiza-Pilzen und Bodenmikrobiom wird allmählich in seiner Bedeutung für resiliente Landwirtschaft und gesunde Lebensmittel wahrgenommen. Winzer kennen das, sprechen von Terroir, die biodynamischen wissen auch, wie man das pflegt. Das Ganze wirkt bis dahin, dass Kuhmist vom Standort besser vom Boden verdaut wird als importierter Mist gleichen Nährstoffgehalts. „Homefield-advantage“ heißt das in der Wissenschaft, was Steiner im achten Vortrag als vorschreitende Wechselwirkung beschreibt, Grundlage einer als „Art Individualität“ verstandenen Landwirtschaft. Die hat, wie der Mensch, ihr individuelles Mikrobiom, ihre eigene Kräftekonstitution.
MICHAEL: Ja genau, faszinierend ist der Zusammenhang, der vor allem im 7. Vortrag beschrieben wird, also das Zusammenwirken verschiedener natürlicher Faktoren und der Bewirtschaftung als Grundlage einer ökologischen Betriebsorganisation. Das ist heute brandaktuell, auch wenn es eigentlich schon zu Steiners Zeiten nicht neu war. Auch frühere Agronomen, z.B. Albrecht Daniel Thaer, haben die produktionsökologische Bedeutung der Vielfalt und der Interaktion natürlicher Faktoren erkannt, aber Steiner war sozusagen der letzte in dieser Reihe, der das nochmal weitergedacht und auf den Punkt gebracht hat, bevor das Interesse an Agrarökologie als Produktionsgrundlage erstmal für Jahrzehnte fast völlig verschwand.
CHRISTOPHER: Als Forscher sage ich: Die von Steiner im Kurs angegebenen Effekte wurden im Einzelnen und mit Blick auf den jeweils beschriebenen Effekt bisher wissenschaftlich nicht systematisch erforscht und belegt. Gerade bei den Kompostpräparaten ist das auch enorm schwierig methodisch umzusetzen. Auch zu Hornmist und Hornkiesel muss noch viel geforscht werden, bis man da sagen kann, der Effekt wäre wissenschaftlich eindeutig belegt. Am weitesten sind wir beim Hornmist. Da gibt es seit dem Aufkommen der Mikrobiom-Analytik endlich einen Ansatz, den Wirkungsweg und die Wirkung wissenschaftlich nachvollziehbar zu ergreifen. Mit dem Mikrobiom erfasst man die Träger von Lebensprozessen in der physischen Welt. Dadurch können wir in der physischen Welt nachvollziehbar die Wirkung des Lebendigen erforschen. Jürgen Fritz konnte gemeinsam mit einer internationalen Arbeitsgruppe in einer umfangreichen Studie zeigen, dass die Präparateanwendung insgesamt das Mikrobiom des Bodens positiv beeinflusst. Das kann man nicht auf den Hornmist allein zurückführen, aber da ist die Forschung mit dem Erklärungsansatz am weitesten.
Die wissenschaftliche Herangehensweise ist eine Form der Erkenntnisfindung ist, aber nicht die Einzige. Praktiker:innen kommen (auch) auf anderen Wegen zu Erkenntnissen, die wissenschaftlich nicht immer nachvollziehbar sein müssen, aber für das Leben und die Arbeit von großer Bedeutung sein können. Das sollten wir anerkennen und wertschätzen und nicht in die Überheblichkeit verfallen, nur naturwissenschaftlich abgesicherte Erkenntnisse gelten zu lassen. Das wäre tatsächlich im praktischen Leben auch gar nicht möglich.
Was ich damit sagen will: wenn biodynamische Praktiker:innen von der Wirkung der Präparate überzeugt sind, dann erkenne ich das an, auch wenn wir erst am Anfang stehen, die Präparate und deren Wirkungen auch wissenschaftlich zu durchdringen.
MICHAEL: Zunächst mal ist es ganz einfach: die Erde und wir sind mitten im Kosmos – von dessen Rhythmen und Kräften ist absolut alles beeinflusst! Doch wie nutzt man das in der Landwirtschaft? Dass die Orientierung an Mondrhythmen wie Erdnähe oder Voll- bzw. Neumond, auf- bzw. absteigendem Mond sinnvoll sein kann, zeigte Hartmut Spieß mit seiner Habilitationsschrift. Pflanzenarten reagieren aber unterschiedlich. Dass Holz besser zu Neu- als zu Vollmond eingeschlagen werden sollte, stellte Dr. Ernst Zürcher von der Schweizerischen Hochschule der Holzwirtschaft fest: es ist haltbarer, hat eine höhere Darrdichte.
MICHAEL: Spannend finde ich, dass Steiner hier seiner Zeit weit voraus ist – denn der Zusammenhang zwischen Darm und Hirn und den Prozessen darin wurde ja erst in jüngster Zeit wissenschaftlich erschlossen. Inwiefern wir das in der Praxis und Forschung zum biodynamischen Landbau nutzen können, muss sich noch zeigen. Klar ist: der beschriebene Sachverhalt unterstützt eine ganzheitliche Sicht auf Lebensmittel, Landwirtschaft und Ernährung.
Nicht nur der Landwirtschaftliche Kurs feiert 2024 ein Jubiläum – auch viele Mitgliedsbetriebe feiern 2023 und 2024 Jubiläen. Dazu gratuliert der Demeter-Verband ganz herzlich!
Hier finden Sie eine Übersicht unserer bisherigen Entwicklungsberichte.