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Natürliche Helfer statt Ackergifte

Pestizide schaden unseren Ökosystemen und der Artenvielfalt. Laut EU-Ziel soll die ausgebrachte Menge bis 2030 halbiert werden. Dafür braucht es jetzt klare Anwendungsbestimmungen – und den Ausbau des Ökolandbaus!

Natürliche Helfer statt Ackergifte
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Inga Israel

Sie driften ab, versickern, verwaschen oder verdunsten und landen im Boden, im Wasser und ebenso auf unseren Lebensmitteln: Pestizide. Im Durchschnitt bringen Landwirt: innen in Deutschland davon rund 2,8 Kilogramm pro Hektar auf den Äckern aus. Dabei war das Versprechen einst groß: sicherere Erträge bei gleichzeitiger Arbeitserleichterung. Mit der Industrialisierung der Landwirtschaft in den 1950er-Jahren stieg nicht nur der Einsatz von chemisch-synthetischen Stickstoffdüngern, sondern auch der von Pestiziden stetig an. Monokulturen, enge Fruchtfolgen und der Anspruch, Hochleistungssorten auch an weniger geeigneten Standorten anzubauen, führten dazu, dass die Pflanzen immer anfälliger gegenüber Krankheiten und Schädlingen wurden. So stieg parallel auch der Bedarf an Pflanzenschutzmitteln – ein lukratives Geschäft für Agrarchemiekonzerne! Etwa die Hälfte der heute eingesetzten Pestizide sind Herbizide, sogenannte Unkrautvernichtungsmittel. Darauf folgen Insektizide mit circa 30 Prozent. Sie werden zum Beispiel gegen Blattläuse eingesetzt. Fungizide zur Pilzbekämpfung machen 17 Prozent der chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel aus. Eines haben alle drei gemein: Werden sie auf die landwirtschaftlichen Flächen ausgebracht, wirken sie nicht nur vor Ort, sonder können Messungen zufolge durch Abdrift und Versickern bis zu 1.000 Kilometer weit transportiert werden.

DAS PROBLEM MIT DEN WECHSELWIRKUNGEN

„Einmal ausgebracht, wirken Pestizide nicht nur auf dem Acker, sondern beeinflussen das gesamte Ökosystem drumherum. Insektizide etwa vernichten nicht nur Schädlinge, sondern genauso Nützlinge wie Marienkäfer, Flor- und Schwebfliege oder Ohrenkneifer. Dabei helfen gerade diese dabei, Schädlingspopulationen zu reduzieren. Allein ein Marienkäfer frisst pro Tag 50 Blattläuse – auf sein ganzes Leben gerechnet sind das ganze 40.000. Doch je mehr Nützlinge infolge der Pestizidanwendung verhungern oder vergiftet werden, desto höher wird der Druck durch Schädlinge auf die Kulturen. Dies wiederum führt dazu, dass noch mehr Insektizide zu ihrem Schutz ausgebracht werden müssen. Ein Teufelskreis!“, erklärt Antje Kölling, politische Sprecherin bei Demeter. Auch bestäubende Insekten wie Bienen sind betroffen: Insbesondere der Einsatz der hochwirksamen Neonicotinoide macht ihnen zu schaffen. Die Gifte wirken direkt auf die Nervenzellen der Insekten und beeinträchtigen Lernvermögen, Kommunikationsverhalten, Immunsystem und Fortpflanzung.

Breitbandherbizide wie Glyphosat verstärken das Dilemma: Indem sie die Ackerbegleitflora vernichten, gibt es kaum noch Blütenangebote und Wildkräuter neben Getreide, Mais und Kartoffeln auf konventionellen Äckern. Damit schrumpfen das Nahrungsangebot und auch der Lebensraum für viele Insekten. Die Folge: Sie werden immer weniger. „Zusammen mit Klimakrise, Lichtverschmutzung, dem zunehmenden Einsatz von Düngemitteln und mehr invasiven Arten sind durch den Verlust unserer Artenvielfalt wichtige Ökosystemleistungen wie Bestäubung oder Schädlingsbekämpfung gefährdet. Zudem wird es zukünftig immer größere Lücken im Nahrungsnetz geben. Und das betrifft nicht nur Tiere und Pflanzen, sondern auch uns Menschen und unsere Versorgung mit sauberem Trinkwasser und gesunden Nahrungsmitteln“, mahnt Antje Kölling.

Blumenwiese Illustration
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Inga Israel

STRATEGIE SUCHT KLUGE UMSETZUNG

Die EU-Kommission hat sich 2020 in der „Farm to Fork“- Strategie das Ziel gesetzt, den Einsatz von Pestiziden und ihre Risiken bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren. Das geplante Anwendungsverbot von chemisch-synthetischen Pestiziden in Gebieten, die der Trinkwassergewinnung oder dem Naturschutz dienen, ist ein elementarer Baustein, um die EU-Ziele zu Biodiversität und Wasserschutz zu erreichen.  „Öko-Landwirt:innen wie unsere Demeter-Bäuerinnen und -Bauern verzichten bereits auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel. Damit zeigen wir: Landwirtschaft ohne Pestizide ist möglich!“, verdeutlicht Antje Kölling. Das verlangt jedoch auch besonderes Know-how der Landwirt:innen, denn der Ökolandbau setzt darauf, mit der Gestaltung von Fruchtfolgen, Sortenwahl und Biodiversität gesunde Pflanzen und ein gutes Gleichgewicht aus Nützlingen und Schädlingen zu erreichen. Auf 95 Prozent der Öko-Flächen werden überhaupt keine Pflanzenschutzmittel angewendet, noch nicht mal naturstoffliche, die zugelassen wären. Diese naturstofflichen Pflanzenschutzmittel dürfen im ökologischen Landbau bei bestimmten Kulturen angewendet werden und bestehen aus Stoffen oder Organismen, die natürlich vorkommen und keine Fremdstoffe für Ökosysteme sind, wie dies bei im Labor designten chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln der Fall ist. So werden Nützlinge wie Florfliegen, Verwirrungsmethoden mit natürlichen Pheromonen oder mineralische Wirkstoffe wie Schwefel, Backpulver und unter strengen Auflagen auch Kupfer angewendet. „Viele dieser Substanzen stecken auch in Lebensmitteln oder sind wichtige Spurennährstoffe, die auch als Dünger verabreicht werden. Auch finden sich darunter organische Wirkstoffe wie beispielsweise Schachtelhalmextrakt, Präparate aus Mikroorganismen oder bestimmte pflanzliche Öle.“

FORDERUNGEN AN DIE POLITIK

Um den Pestizideinsatz tatsächlich mindestens zu halbieren und die damit verbundenen Risiken für unsere Gesundheit und die Umwelt effektiv zu reduzieren, muss Minister Özdemir nun entschiedene Schritte gehen:

  1. Besonders insekten-, umwelt- oder gesundheitsschädliche Pestizide wie Neonicotinoide müssen verboten werden. 
  2. Die Gefährlichkeit von Pestiziden darf nicht allein nach Einsatzmenge, sondern muss vor allem auch nach Risiken bewertet werden.
  3. Eine Pestizidabgabe nach dänischem Vorbild ist einzuführen – das würde einen starken ökonomischen Anreiz für eine Verringerung des Pestizideinsatzes schaffen.

  4. In sensiblen Gebieten (Naturschutz, Trinkwasser- schutz etc.) braucht es einen Ausstiegsplan, um den Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden ganz zurückzufahren. Dabei müssen Bäuerinnen und Bauern ökonomische Perspektiven geboten werden. Der Ökolandbau ist in sensiblen Gebieten besonders zu fördern, da er die Anforderungen an Natur- und Wasserschutz bereits sehr gut erfüllt.

  5. Ökolandbau kommt ohne chemisch-synthetische Pestizide aus – und muss daher ambitioniert gefördert werden!

Antje Kölling

Antje Kölling, Leiterin Abteilung Politische und Öffentlichkeitsarbeit des Bioverbands Demeter.

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Yool GmbH & Co. KG

ANTJES GARTENTIPPS

Gärtnern ohne chemisch-synthetischen Pflanzenschutz ist kein Problem: Mit diesen Tipps kannst du ökologisch auf deinem Balkon oder in deinem Garten säen, buddeln und Vielfalt wachsen lassen:

• Nutze am besten ökologisches Saatgut, das für deinen Standort, also deine Licht-, Wasser-, Boden- und Klimaverhältnisse, geeignet ist. Dann sind deine Pflanzen weniger anfällig für Krankheiten und Schädlinge.

• Verwende organischen Dünger, Kompost und Pflanzensud wie Brennnessel– oder Ackerschachtelhalmjauche, um deine Pflanzen mit Nährstoffen zu versorgen und zu stärken.

• Fördere Nützlinge in deinen Beeten: Schaffe Blühangebote mit Wildkräutern wie Schafgarbe, Ringel- oder Kornblume in deinem Garten, lass etwas altes Holz oder Schnittgut liegen oder wirf im Herbst nicht das ganze Laub auf den Kompost. Marienkäfer, Laubkäfer, Hummel und Co. werden es dir danken!

• Mach’s bunt: Säe dein Gemüse in Mischkultur aus und achte auf die Fruchtfolge. Die verschiedenen Pflanzen helfen sich gegenseitig beim Wachsen und Gedeihen und Krankheiten können sich nicht so leicht ausbreiten. Empfehlungen für besonders gute Beet-Nachbarn findest du z. B. online im Demeter Gartenrundbrief oder in Gartenratgebern.